V wie Vera

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Ausschreitungen im Bromberg am 3.9.1939

In der über 2 Monate nach den berichteten Ereignissen geschriebenen Briefkarte wird als Datum der Flucht der 1. September 1939 genannt. Dass die dort beschriebenen Ereignisse stattgefunden haben, ist nicht zu bezweifeln, doch die Vorverlegung des Termines gehört in den Bereich nationalsozialistischer Propaganda.

Die Schreiberin der Briefkarte ist eine Verwandte meiner Großmutter, die selbst aus dem kleinen Straßendorf Kamillenthal bei Schildberg (Myje bei Ostrzeszów) im Süden der Provinz Posen stammte. Nachdem Posen durch den Friedensvertrag vom 10. Januar 1920 Polen zugesprochen worden war, verließ ein Teil der Familie wegen starker ethnischer Spannungen Anfang der 20er Jahre Polen.

Nach dem Angriff des Deutschen Reiches auf Polen am 1. September 1939 kam es am 3. September und in der Woche danach zu Gräueltaten und Ermordungen an der deutschstämmigen Minderheit besonders in Bromberg, aber auch in weiten Gebieten Polens unter dem Vorwurf der Spionage, Beschießung und Sabotage. Am 3. September flüchtete die von der Wehrmacht zerschlagene Pommernarmee über Bromberg nach Süden, weil es dort noch heile Brücken über den Fluß Brahe gab. Dabei sollen ungeordnete Soldatengruppen und Marodeure dieser Armeereste in Bromberg und Umgebung Rache an der deutschstämmigen Bevölkerung genommen, Zivilisten aus den Häusern geholt, gefoltert und erschossen haben.

Die Opferzahlen sind umstritten und auch nicht zu verifizieren. Für Bromberg wird eine Liste mit 358 namentlich identifizierter Ermordeter erwähnt, die im Bromberger kommunalen Einwohnerverzeichnis im Jahr 1939 noch registriert waren. Die Liste des Auswärtigen Amtes (Weißbuch Nr. 1) gab bis Ende Dezember 1939 die Gesamtzahl der ermordeten Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen mit 5.437 Toten an. Im Februar 1940 legte das Reichspropagana-Ministerium per Dienstanweisung fest, dass die Opferzahl mit 58.000 Toten zu beziffern und fortan so zu verkünden sei.

In Polen selbst war man nach dem Krieg der Meinung, dass mit Maschinengewehren bewaffnete deutschstämmige Einwohner Brombergs gegen die Reste der von der Wehrmacht zerschlagenen Pommernarmee vorgegangen seien und sie auf dem Rückzug durch den Ort hinterrücks erschossen hätten. Polnische Militärabteilungen hätten sich verteidigt und nur die Deutschen erschossen, die mit der Waffe in der Hand angetroffen worden seien.

Der polnische Historiker Wlodzimierz Jastrzebski, damals Direktor des Instituts für Geschichte der Pädagogischen Hochschule in Bromberg/Bydgoszcz, erklärte am 19. Oktober 2003 in einem Interview der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza, dass es in Bromberg keine deutsche Diversion gab, wohl aber Repressionen und Exekutionen an Bromberger Deutschen. Dieses Interview löste in Polen einen Schock aus. Am Tag nach dem Interview erklärte der stellvertretende Chef des Instituts für Nationalgedenken (IPN - Instytut Pamieci Narodowej) Janus Krupski in der gleichen Zeitung, dass das polnische Bild vom Blutsonntag nicht mehr haltbar sei, und kündigte inoffiziell eine weitere Untersuchung durch das Institut an. In den 40er und in den 60er Jahren habe es schon einmal Untersuchungen des Instituts für Nationalgedenken (IPN - Instytut Pamieci Narodowej) zu den Vorfällen in und um Bromberg gegeben, die die polnische Version der Geschehnisse bestätigten, diese Untersuchungen seien aber nicht ohne gewisse Fehler gewesen.

VwV 8. Mai 2005 | 7. Februar 2010