V wie Vera

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Führerbefehl vom 8.9.1942

Grundsätzliche Aufgaben der Verteidigung

Der Führer
OKH/Gen.St.d.H./Op.Abt.(I)
Nr. 11 153/42 g.Kdos.
Gemeine Kommandosache
Chefsache!
Nur durch Offiziere!

H.Qu., den 8.9.1942

Die schweren Abwehrkämpfe im Bereich der Heeresgruppe Mitte und Nord geben mir Veranlassung, meine Auffassungen über einige grundsätzliche Aufgaben der Verteidigung festzulegen. Sie sind für die weiteren Abwehrkämpfe massgebend. Ich erwarte, dass sie zum Allgemeingut der Truppe werden.

1. Der Sinn der Verteidigung einer Stellung ist nicht, den Angriff des Gegners in einer mehr oder minder grossen Einbuchtung zum Stehen zu bringen, sondern seine Angriffskraft durch Zusammenfassung aller geeigneten Waffen, wenn möglich schon vor dem Anschlagen, auf alle Fälle aber im Verlauf des Abwehrkampfes so zu zerschlagen, dass bei Schluss des Kampfes die ursprüngliche HKL im eigenen Besitz ist. Es gibt keinen Zweifel, dass von diesem obersten Grundsatz der Verteidigung an verschiedenen Stellen abgegangen und Gelände ohne unbedingt zwingende Notwendigkeit preisgegeben worden ist. Ob dabei der Gedanke massgebend war, die Truppe einer augenblicklich schweren Belastung zu entziehen, dass es bei der Weite des russischen Raumes auf einige Kilometer nicht ankomme, oder dass man glaubte, weiter rückwärts bessere Bedingungen des Kampfes finden zu können, mag dahingestellt bleiben. Alle diese Gedanken sind aber fast stets grundsätzlich falsch. Die Truppe gibt zumeist eine zur Verteidigung oft in langer Arbeit eingerichtete Stellung auf, um dann unter erheblich ungünstigeren Bedingungen im freien Gelände den Kampf fortsetzen zu müssen. Zudem verliert sich dabei unweigerlich unersetzbares Gerät. Die dann sich bildende Front, die ausserdem stets noch länger ist, muss also unter wesentlich ungünstigeren allgemeinen Bedingungen endlich doch gehalten werden. Es entsteht ferner die Gefahr, dass durch die Preisgabe zunächst kleiner Geländeteile sehr bald auch Nachbarabschnitte in Mitleidenschaft gezogen werden, dass dadurch aus einem zunächst kleinen Einbruch des Gegners oft sehr schwerwiegende Folgen für ganze Frontabschnitte eintreten, ja, sie können am Ende die Stellung ganzer Armeen und sogar von Heeresgruppen zum Wanken bringen oder zumindest schwer belasten.
Vor allem muss aber ein solches Verfahren auf die Dauer den Willen der Truppe zum äussersten Widerstand immer mehr untergraben und mithin die soldatische Moral erschüttern. Der Begriff und die Bedeutung der HKL müssen deshalb der Führung und der Truppe gegenüber immer wieder nachdrücklich hervorgehoben werden. Die HKL ist die Linie, die unter allen Umständen zu halten ist. Sie muss daher nach Abschluss jedes Kampfes wieder im eigenen Besitz sein. Eine Truppe, die diese Forderung nicht erfüllt, muss dies als eine Schande betrachten[...]
[...] In der jetzigen Lage aber muss ich verlangen, dass eine durchlaufende HKL, wenn auch noch so dünn besetzt, geschaffen wird und nicht ein in die Tiefe gegliedertes Stützpunktsystem, in dem der Begriff HKL von vornherein nicht eindeutig festgelegt werden kann. Ich kehre mit dieser Auffassung bewusst zu der Art der Verteidigung zurück, wie sie in den schweren Abwehrschlachten des Weltkrieges besonders bis zum Ende des Jahres 1916 mit Erfolg angewendet wurde. Erst, als die Materialüberlegenheit des Gegners damals überwältigend in Erscheidung trat, fand eine bewusste Tiefengliederung der Verteidigung statt. Diese Überlegenheit des Gegners war aber während der grossen Abwehrschlachten des Weltkrieges zahlenmässig an Mensch und Material unvergleichlich höher als dies zur Zeit an irgendwelcher Stelle der Ostfront der Fall ist. Die Verluste der eigenen Truppen waren damals nicht geringer, sondern im Gegenteil um vieles schwerer. Trotzdem ist es dem Gegner nur nach wochenlangen Kämpfen unter blutigsten Verlusten gelungen, einen stets ganz unwesentlichen Geländegewinn zu erzielen. Die Kampfbedingungen des Angreifers mögen durch die Zahl und Güte seiner Panzerwaffe gegenüber dem letzten Krieg verbessert sein, allein der Ausgleich wird reichlich geschaffen durch die Leistungen unserer eigenen ständig verbesserten Kampfwagen, durch die Wirkung unserer Panzerabwehrwaffen, die heute von keiner Wehrmacht der Welt auch nur annähernd erreicht werden, durch die Verwendung von Minen und vor allem durch die grosse Wirkung unserer eigenen Luftwaffe.
[...]
6. Sogenannte operative Ausweichbewegungen, wenn sie nicht in eine lange vorbereitete bessere rückwärtige Stellung führen, ändern an der Gesamtlage nicht nur nichts, sondern sie verschlechtern sie nur, denn die Kräfte des Feindes werden dadurch nicht vermindert, die eigenen nicht vermehrt, aber der zu haltende Frontabschnitt durch die Ausbuchtung zwangsläufig vergrössert.
Aber selbst wenn die rückwärtige Stellung kürzer ist, so kommt dies auch dem Feinde genau so zugute wie der eigenen Truppe; denn das Kräfteverhältnis bleibt immer dasselbe, nur dass sich der Angriffsschwung des Feindes in eben dem Maße hebt, mit dem er sichtbar unblutige Erfolge erzielt. Es gab und gibt daherzu allen Zeiten nur ein Mittel für den zahlenmässig unterlegenen Verteidiger, seine Lage zu verbessern; er muss in einer so gut als möglich ausgebauten Stellung dem Angreifer derartige Verluste zufügen, dass dieser allmählich verblutet. Damit wird nicht nur vorübergehend sein Angriffsschwung gelähmt und das Gleichgewicht der Kräfte hergestellt, sondern endgültig das Material des Feindes erledigt, mit dem man in erster Linie die Kriege gewinnt: nämlich die Menschen.
Grundsätzlich aber hat kein Heeresgruppenführer oder gar Armeeführer überhaupt das Recht, von sich aus eine sogenannte taktische Ausweichbewegung vorzunehmen ohne meine ausdrückliche Genehmigung. Es sind leider in diesem Kriege im Osten, ohne dass sich die Lage der eigenen Verbände besserte, ja im Gegenteil nur zwangsläufig verschlechtern musste, Gebiete preisgegeben worden, die oft ein Mehrfaches von dem umfassen, was im Weltkrieg der Gegner nur nach 3 Monaten Grosskampf erobern konnte. Ich muss dabei hier einfügen, dass trotz aller Erwähnungen von weltkriegsähnlichen Handlungen an der Ostfront bisher noch an keiner Stelle weder von uns noch von den Russen ein Munitionsaufwand erfolgt ist, der auch nur annähernd dem entspricht, was den grossen Abwehrschlachten des Weltkrieges den einmaligen Charakter in der Kriegsgeschichte gibt. Damit heisst die Parole für die Verteidigungsfront: Graben und immer wieder graben, und zwar besonders, solange der Boden noch weich ist. Dann werden sich die Krisen des letzten Winters nicht mehr wiederholen.
Ebenso sind schon jetzt alle Vorkehrungen zu treffen, um hinter den Fronten das Eingreifen nicht nur von menschlichen, sondern vor allem auch von technischen Reserven zu ermöglichen. Bau warmer Boxen für Tanks und Sturmgeschütze, Ausschlagen von Schneisen, die parallel der Hauptkampflinie das Fahren vor allem von Panzern und Sturmgeschützen biszu 60 Tonnen Gewicht zu Abwehrzwecken ermöglichen, vor allem aber Herstellung einer zusammenhängenden Linie mit zahlreichen warmen Unterständen. Solange der Russe als sein Hauptgeschütz die 7,62 cm Kanone und vor allem seine Stalinorgel verwendet, ist in waldreichen Gebieten der Bau von schusssicheren, im Winter beheizbaren Unterständen ohne weiteres möglich. An zahlreichen Frontabschnitten ist dies auch geschehen. An anderen Abschnitten kann und muss dann auch wieder zum minierten Stollen gegriffen werden. Ich werde daher aber auch grundsätzlich für Truppenteile, die, ohne völlig dezimiert zu sein, eine Stellung schlecht ausbauten und gar dann verlieren, jede Beförderung und Auszeichnung sperren. Divisionen aber, die bis zum letzten kämpfen, sollen dem deutschen Volk bekanntgegeben werden und damit vor der Geschichte diejenige Ehrung finden, die sie verdienen.

Dieser Befehl darf schriftlich nur bis zu den Divisionsstäben ausgegeben werden, darüber hinaus ist er nur im Auszug mündlich mitzuteilen.

gez. Adolf Hitler

Für die Richtigkeit:
Brandt, Oberstleutnant i.G.

Quelle: dtv dokumente, Von El Alamein bis Stalingrad, Seite 287-290

VwV 8. Mai 2005 | 7. Februar 2010